Inhalt
- Interessenvertretung und Lobbying als zentrale Aufgaben zivilgesellschaftlicher Organisationen
- Europäisches Lobbying – ein Berufsfeld zwischen Skandalen und Normalbetrieb
- Experteninterview: Prof. Dr. Thomas von Winter
- Public Affairs Management – Lobbying von Zivilgesellschaft und NPOs: Weiterbildungsseminar an der Uni Münster
- Nonprofit-Organisationen stellen sich vor
- Masterstudiengang Nonprofit-Management and Governance

Interessenvertretung und Lobbying als zentrale Aufgaben zivilgesellschaftlicher Organisationen
Prof.’in Annette Zimmer
Interessenvertretung und Lobbying – als zentrale Aufgaben zivilgesellschaftlicher Organisationen
Zivilgesellschaftliche Organisationen sind i.d.R. mehr als nur Dienstleister. Ihre Mission und Vision bestehen häufig darin, die Welt ein bisschen besser zu machen, ganz gleich in welchen Bereichen sie tätig sind. Interessenvertretung von zivilgesellschaftlichen Organisationen umfasst daher ein breites Spektrum von Politikbereichen, das vom Bereich Soziales über Kultur, Umwelt und Sport bis hin zum Schutz von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten reicht. Dementsprechend komplex und ausdifferenziert gestaltet sich Interessenvertretung bzw. Lobbying für zivilgesellschaftliche Organisationen.
Insofern ist die Frage, wie sich Zivilgesellschaft und ihr vielfältiges Organisationsspektrum am besten Gehör verschafft, wie sie zivilgesellschaftliche Anliegen verdichtet und die Politik professionell und erfolgreich adressiert, jeweils differenziert und nach Politikbereich spezifisch zu beantworten. Gleichwohl lassen sich einige aktuelle Trends festhalten, die Interessenvertretung generell prägen und die in engem Bezug zu den in den letzten Jahrzehnten erfolgten tiefgreifenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen in Deutschland zu sehen sind.
Lobbying – ein vielfältiges Spektrum von Aktivitäten
Hier ist an erster Stelle unsere klassische Vorstellung von Lobbyismus zu nennen. Ursprünglich bedeutet Lobbying die direkte Ansprache von Abgeordneten im Dienst der Beeinflussung von Politik im Vorraum der Macht, der Lobby des Britischen Parlaments oder des Kongresses in Washington. Doch diese auf einen begrenzten Adressatenkreis begrenzte und ausschließlich auf persönlich-individuelle Ansprache basierende Form bezieht sich nur noch auf eine Facette von Lobbying als Oberbegriff und Synonym für Interessenvertretung bzw. Public Affairs (Röttger et al. 2021). Unter Lobbying und Lobbyismus wird heute ein umfängliches Spektrum von Aktivitäten strategischer politischer Kommunikation/Public Affairs gefasst, die sich in ihren Zielsetzungen, Vorgehensweisen, Adressaten und Akteuren erheblich voneinander unterscheiden. Ihre Gemeinsamkeit besteht aber in der zielgerichteten Beeinflussung von Politikgestaltung. Und diese ist mitnichten nur auf den Kernbereich der Politik – Regierung, Ministerialverwaltung und Parlament – begrenzt, sondern erfolgt in der heutigen Medien- und Wissensgesellschaft zu erheblichen Teilen in der allgemeinen, in fach- und policy-spezifischen Öffentlichkeiten sowie in zunehmendem Maße in den Sozialen Medien.
Schwache Verbände – höherer Wettbewerb unter den Organisationen
Die Gründe, warum Interessenvertretung als politische Kommunikation nicht mehr auf den Kern des Politikbetriebs begrenzt ist, sind vielfältig. Anzuführen sind hier u.a. die gesellschaftliche Pluralisierung und die damit einhergehende Heterogenisierung von Interessen. Zu nennen ist hier auch die politisch gewollte Zurücknahme neo-korporatistischer Privilegierung von Verbänden und die sich daraus folgenden Pluralisierung der Verbändelandschaft. Hierdurch ergibt sich unter den Verbänden eine starke Wettbewerbssituation. Nicht zuletzt hat die Bedeutung politischer Kommunikation für Politikgestaltung markant zugenommen. Inzwischen spricht man von einer umfassenden Medialisierung von Politik, und zwar als Metapher für die zunehmende Bedeutung öffentlicher Aufmerksamkeit als „Publizität“ (Marcinkowski 2014: 75), sowohl für das Agenda-Setting als auch für die Legitimation von Politik.
Wer sind die Akteure?
Nach übereinstimmender Einschätzung der Experten findet Lobbying heute an den Schnittstellen von Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und zunehmend Wissenschaft statt. Die Lobby-Akteure sind daher auch nicht mehr ausschließlich Verbandsvertreter. Heute gehört dazu ein breites Spektrum von Public Affairs Agenturen sowie auf bestimmte Themen und/oder Policy-Bereiche spezialisierte Anwaltskanzleien. Diese Akteure betreiben Interessenvertretung jeweils als Geschäft. Demgegenüber steht die Vielfalt von NGOs, Advocacy-Gruppen und Bewegungsunternehmen sowie Think Tanks und Stiftungen, die ebenfalls policy-spezifisch arbeiten und mittels wissenschaftlicher Expertisen wie auch öffentlichkeitswirksamer Kampagnen lobbyieren und über Kommunikation versuchen, auf Politik gestaltend Einfluss zu nehmen.
Traditionelle Arbeitsfelder zivilgesellschaftlicher Organisationen – wie etwa die Bereiche Soziales oder Gesundheit – sind von dieser neuen Unübersichtlichkeit in besonderem Maße betroffen, da sich die Akteurskonstellationen in den sozial- und gesundheitspolitischen Politikbereichen in den vergangenen Dekaden infolge der zunehmenden Wettbewerbsorientierung maßgeblich verändert haben. Gleichzeitig sind überkommene Strukturen hier immer noch wirkungsmächtig, so dass Interessenvertretung hier auszeichnet durch „die Vermengung zwischen politischen, wissenschaftlichen, öffentlichen, privaten und berufsgeleiteten Akteuren“ (Hornung/Bandelow 2022: 916). Zwar trifft dies auch für andere Tätigkeitsbereiche zivilgesellschaftlicher Organisationen zu, aber aufgrund der ehemals vergleichsweise privilegierten Stellung der Dachorganisationen – sprich der Wohlfahrtsverbände – fällt die Erfahrung der Veränderung hier besonders deutlich aus.
„Es kommt auf die Zielsetzung an“
Wie ist damit umzugehen? Wie kann es zivilgesellschaftlichen Akteuren unter diesen komplexen Kontextbedingungen dennoch gelingen, sich Gehör zu verschaffen, ihre Anliegen zu bündeln und gegenüber der Politik erfolgreich zu vertreten? Zu antworten ist hierauf mit einer „Binsenwahrheit“: Es kommt ganz auf die Zielsetzung an. In grosso modo ist zwischen Lobbying mit und über die Öffentlichkeit sowie einer sog. in-house oder nicht-öffentlichen Interessenvertretung zu unterscheiden.
Campaigning mit Narrativen
Geht es darum, ein Thema/Anliegen überhaupt erst bekannt zu machen oder ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit zu rücken, so ist Public Campaigning (Röttger 2021) die Lobby-Strategie erster Wahl. Es handelt sich hierbei um „zielgerichtete, dramaturgisch angelegte, thematisch fokussierte, zeitlich befristete kommunikative Strategien“ (ebenda.: 442), die dazu dienen die Wahrnehmung und Bewertung von Themen in der Öffentlichkeit zu beeinflussen und dadurch indirekt, in der Regel über die Medien vermittelt, Einfluss auf die Politik auszuüben. Kampagnen sind meist von langer Hand geplant. Vor mehr als dreißig Jahren von zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie etwa Greenpeace, entwickelt, werden sie heute allgemein zu Lobby-Zwecken eingesetzt (vgl. die Beispiele in Speth/Zimmer 2015). Je nachdem wie präsent ein Thema bereits in der Öffentlichkeit ist, kommen unterschiedliche Strategien und Instrumente zum Einsatz. Geht es in erster Linie darum, die Öffentlichkeit zu informieren und für ein Thema/Anliegen zu sensibilisieren, zählen dazu u.a. medienwirksam platzierte wissenschaftliche Expertisen, Fachtagungen, gern unter prominenter Schirmherrschaft (z.B. Bundespräsident), Fach- und Leitartikel in überregionalen Zeitungen sowie die Zurverfügungstellung policy-spezifischer Informationen in Online-Medien. Hierdurch wird ein Thema „geframt“ bzw. mit einer bestimmten Erzählung (Narrativ) unterlegt, aufgrund dessen eine Änderung des Status-quo unbedingt erforderlich ist und somit Politik unter Handlungsdruck gerät.
Ist ein Thema bereits auf der Agenda, wie jetzt endlich die Klimakrise, geht es bei der Kampagne um die Aktivierung und Mobilisierung von Öffentlichkeit, meist in Form von Protestaktionen. In der Fachterminologie wird dies als „Grassroots Campaigning“ geführt, und zwar weil Bürger:innen direkt in die Strategie als Akteure (z.B. als Betroffene, Mitglieder, Unterstützer oder Mitarbeiter) einbezogen werden. Zunehmende Bedeutung hat in jüngster Zeit das Grassroots Campaigning im Netz gewonnen, wobei Petitionen, Massenanschreiben an Politiker:innen oder Protestbriefe online organisiert werden.
Das gibt es aber auch noch – das Inhouse Lobbying
Lobbying mit und über die Öffentlichkeit ist zweifelsfrei zeit- und ressourcenaufwändig, muss strategisch angelegt werden und arbeitet z.T. mit Skandalisierung. Diese wiederum birgt die Gefahr der De-legitimation der beteiligen Akteure und ihrer Anliegen. Im Vergleich dazu konkreter und zielgerichteter ist das Inhouse-Lobbying, das nicht-öffentlich und primär auf den Kernbetrieb der Politik ausgerichtet ist und die Akteure von Regierung, Parlament und Ministerialbürokratie direkt adressiert. In der alten neo-korporatistischen Bundesrepublik waren lange Zeit einige zivilgesellschaftliche Akteure in punkto Inhouse Lobbying deutlich besser aufgestellt als andere. Während Umwelt-, Verbraucher- sowie auch Fraueninteressen einen schweren Stand und so gut wie nicht vertreten waren. Verfügten die Verbandsvertreter von Gewerkschaften, Kirchen sowie auch der Sozialwirtschaft über ziemlich gute Drähte hinein in die Politik. Allerdings hat die „Verbandsdurchdringung“ von Parlament, Regierung und Verwaltung in der Berliner Republik deutlich abgenommen, so dass auch die Vertreter:innen dieser zivilgesellschaftlichen Organisationen ihre privilegierte Zugänge weitgehend verloren haben. Entsprechendes gilt auch für die Zugänge zu Expertenrunden und Beratergremien im Vorfeld und in Begleitung von Politikgestaltung und -umsetzung. Zumal hier Vertreter:innen der Wissenschaft in den vergangen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und inzwischen häufiger anstelle von Vertretern der Verbände hinzugezogen werden.
Von der Beeinflussung zur Beratung – die Bedeutung der Themenkompetenz
Unter diesen veränderten Kontextbedingungen macht es durchaus Sinn, dass zivilgesellschaftliche Interessenvertretung sich auch zunehmend des Handwerkzeug des Lobbyisten bedient und in gleichem Maße vermittelt über die Öffentlichkeit wie auch mittels Inhouse-Lobbying für das zivilgesellschaftliche Anliegen und die eigene Organisation tätig wird. Eine komprimierte und praxisbezogene Handreichung für In-house Lobbying hat der Politikwissenschaftler Marco Althaus auf Basis profunder Praxiskenntnis jüngst zusammengestellt (Althaus 2022). Das Ein-Mal-Eins des Lobbyings setzt beim Selbstverständnis des oder der Lobbyisten an. Interessenvertretung ist heute eine Profession, die auf Expertenwissen, kontinuierlichem Monitoring des jeweiligen Politikbereichs und der genauen Kenntnis des politischen Betriebs und seiner Verfahren beruht. Insofern ist Inhouse Lobbying eher als Beratung und weniger als Beeinflussung angelegt. Demzufolge setzt Inhouse-Lobbying auch so früh wie möglich, i.d.R. auf der Arbeitsebene, an. Es sind die Arbeits- und Fachebenen der betreffenden Ministerien, die für guten Lobbyismus von zentraler Bedeutung sind. Persönliche Kontakte sind hier besonders hilfreich und daher zu hegen und zu pflegen. Entsprechend gilt für das Parlament, die Fachausschüsse und Fraktionen. Besondere Kontaktpflege nur mit einer Partei ist unbedingt zu vermeiden. Es sticht das Kompetenzkriterien und nicht die Parteizugehörigkeit. Infolge der wechselnden Zusammensetzung der Koalitionsregierungen auf Bundes- und Landesebene ist als wichtiges Zeitfenster für Inhouse-Lobbying die Phase der Koalitionsverhandlung neu hinzugekommen. Die Koalitionsverträge werden inzwischen weitgehend „abgearbeitet“. Was nicht Eingang in den jeweiligen Koalitionsvertrag gefunden hat, ist in der betreffenden Legislaturperiode kaum noch auf die Agenda zu bringen. Ein weiteres wichtiges Kriterium für professionelle Lobby-Arbeit besteht in der Komprimierung und verständlichen Aufbereitung komplexer Sachverhalte. Diese müssen kurz und knapp sein und die Dinge auf den Punkt bringen. Erfolgen kann dies mittels verschiedener Textgattungen, angefangen beim Brief mit persönlicher Ansprache bis hin zum Info-Packet oder Dossier (vgl. Althaus 2022: 407). Ebenso wichtig, wenn nicht sogar nachhaltiger als die schriftliche Kommunikation, ist das gesprochene Wort und der persönliche Kontakt. Nach wie vor gilt ein gut geführtes Adressbuch als wichtiges Kapital des Lobbyisten. Hilfreich hierbei sind persönliche Treffen mit Entscheidern bei Veranstaltungen. Nicht häufig bedeutet dies für die Interessenvertreter:innen einen langen Arbeitstag: „Das Abendgeschäft ergänzt das Tagesgeschäft“ (Althaus 2022: 409).
Lobbying für die gute Sache – eine wichtige Ressource
Abschließend ist festzuhalten, dass die zivilgesellschaftliche Interessenvertretung im Kernbereich der Politik gegenüber dem Lobbying der Wirtschaft über einen ganz erheblichen Vorteil verfügt: Die überwiegende Mehrheit der zivilgesellschaftlichen Organisationen braucht ihre Gemeinwohlorientierung nicht unter Beweis zu stellen und verfügt daher a priori über Legitimation. Gepaart mit Erfahrungswissen, Evidenzbasierung und wissenschaftlicher Expertise der Lobbyist:innen im Dienst der Zivilgesellschaft ist dies eine nicht zu unterschätzende Ressource und ein beachtlicher komparativer Vorteil im Hinblick auf die politische Einflussnahme mittels Inhouse-Lobbying.
Literatur
Althaus, Marco (2022): Lobbying – politische Interessen organisieren, vertreten und vermitteln, in: Stumpf, Marcus (Hrsg.): Verbandsmanagement, Stuttgart: Schäffer-Poeschel: 391-418.
Marcinkowski, Frank (2015): die „Medialisierung“ der Politik – Veränderte Bedingungen politischer Interessenvertretung, in: Speth, Rudolf/Zimmer, Annette (Hrsg.): Lobby Work, Wiesbaden: Springer VS: 71-95.
Röttger, Ulrike (2021): Public Campaigning als öffentliche Form der Public Affairs, in: Röttger, Ulrike/Donges, Patrick/Zerfaß, Ansgar (Hrsg.): Handbuch Public Affairs, Wiesbaden: Springer Gabler: 437-456.
Röttger, Ulrike/Donges, Patrick/Zerfaß, Ansgar (2022): Public Affairs: Strategische Kommunikation an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, in: Röttger, Ulrike/Donges, Patrick/Zerfaß, Ansgar (Hrsg.): Handbuch Public Affairs, Wiesbaden: Springer Gabler: 3-25.
Speth, Rudolf/Zimmer, Annette (Hrsg.) (2014): Lobby Work, Wiesbaden: Springer VS.


Europäisches Lobbying – ein Berufsfeld zwischen Skandalen und Normalbetrieb
Prof. Dr. Christian Lahusen
Skandale um illegale Lobbypraktiken erschüttern die Europäische Union in unregelmäßigen Abständen immer wieder aufs Neue. Zuletzt wurden in der Wohnung einer Abgeordneten des Europäischen Parlaments außerordentlich hohe Geldbeträge gefunden. Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet. Sie ermittelt wegen des Verdachts der Geldwäsche und Korruption im Zusammenhang mit der WM-Vergabe. Mitglieder des Europäischen Parlaments, politische Berater und eine Stiftung sollen involviert sein.
Skandale – Anlass für neue Regelungen und Maßnahmen
„Katargate“, wie der aktuelle Fall wegen der vermuteten Herkunft der Gelder genannt wird, hebt sich in seiner Schwere von vergangenen Skandalen ab. Früher ging es nicht um staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen korrupte Netzwerke, sondern vor allem um den Wechsel führender EU-Funktionäre zu Lobbygruppen, Interessenverquickungen und aggressive Lobbypraktiken. Sie waren Anlass für Transparenz- und Regulierungsmaßnahmen, die im Laufe der Jahre, auch auf Druck lobbykritischer Organisationen, auf- und ausgebaut wurden. Da diese Regelungen im aktuellen Fall nicht greifen, da die Akteure auch aus Drittstaaten stammen, bietet „Katargate“ folglich einen neuen Anlass zum öffentlichen Nachdenken über die Notwendigkeit und Ausgestaltung schärferer Maßnahmen.
Lobbyismus gehört zum Arbeitsalltag in Brüssel
Solche Skandale rücken den europäischen Lobbyismus regelmäßig ins Licht der Öffentlichkeit. Allerdings werfen solche Skandale nur vereinzelte Schlaglichter auf das Thema, weil die Öffentlichkeit sonst kaum Interesse zeigt. Wer den europäischen Lobbyismus in weniger unruhigen Zeiten beobachtet, dem fällt eher auf, wie sehr der Lobbyismus in Brüssel zum normalen Alltag gehört. Die Zahl der Unternehmen und Verbände, die Büros in Brüssel unterhalten, um die europäische Politik aus nächster Nähe zu verfolgen und zu beeinflussen, ist sehr hoch. Aber auch die Möglichkeiten, Interessen zu artikulieren, sind zahlreich, denn die europäischen Gesetzgebungsverfahren sehen verschiedene Formen der Beratungen vor. Darüber hinaus suchen europäische Lobbygruppen auch außerhalb der formalen Verfahren den Kontakt zu Mitgliedern der europäischen Institutionen (Kommission, Parlament und Ministerrat). Dies bildet die Grundlage für dauerhafte Kontakte, die von den beteiligten Akteuren als fester Bestandteil der politischen Konsultationen und der legislativen Entscheidungsfindung angesehen werden.
Berufsfeld – Europäische Lobbyist*innen
Diese bemerkenswerte Normalität lässt sich auch daran festmachen, dass der europäische Lobbyismus zu einem eigenständigen Beruf geworden ist. Diese Entwicklung ist eine unmittelbare Folge der wachsenden Zahl von Lobbygruppen, die europäische Vertretungen eröffnet, Finanzmittel bereitgestellt und Fachpersonal eingestellt haben. Lobbying kann also nicht nur als ein Feld von Organisationen verstanden werden, die mit ihren unterschiedlichen Interessen um politischen Einfluss ringen. Es handelt sich auch um ein Arbeitsmarkt- und Berufsfeld, das durch eine spezifische Personalstruktur, durch eigene Karrierewege, aber auch durch gemeinsame Wissensbestände, Praktiken und Diskurse gekennzeichnet ist.
Berufsfelder sind ein etablierter Gegenstand der soziologischen Berufs- oder Professionsforschung, weshalb es sich lohnt, auch den europäischen Lobbyismus zum Gegenstand einer solchen Untersuchung zu machen. Denn sie kann aufzeigen, wie sich ein solches Berufsfeld nach außen abgrenzt und nach innen organisiert, welche Ungleichheits- und Machtstrukturen es entwickelt. Im Fall des europäischen Lobbyismus lässt sich feststellen, dass das Berufsfeld zunehmend für jüngere Berufseinstiege, insbesondere die von Frauen, offen ist. Zugleich grenzt es sich aber auch durch seinen hohen Akademisierungsgrad von anderen sozialen Herkünften ab. Insgesamt wird deutlich, dass die hohe Beruflichkeit Vorteile für die beteiligten Lobbygruppen mit sich bringt, die unter dem Stichwort Professionalisierung breit diskutiert werden. Die Beruflichkeit wirkt aber ebenfalls als Schließung, die finanzschwache und schwer organisierbare gesellschaftliche Interesse wie auch protestförmig organisierte Bewegungen benachteiligt.
Literatur
Prof. Dr. Christian Lahusen ist Professor für Soziologie an der Universität Siegen. Er studierte an den Universitäten Düsseldorf und Madrid, wurde am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz promoviert und an der Universität Bamberg habilitiert. Seine Forschung widmet sich der politischen Partizipation und Interessenvertretung, der europäischen Integration und der Analyse sozialer Probleme.
Literatur: Christian Lahusen (2023): European Lobbying. An Occupational Field between Professionalism and Activism. London and New York: Routledge. >https://doi.org/10.4324/9781003329923
Eine deutschsprachige Version des Buches ist beim Campus-Verlag veröffentlicht worden.


Prof. Dr. Thomas von Winter im Interview
Prof. Dr. Thomas von Winter ist apl. Professor an der Universität Potsdam und pensionierter Mitarbeiter der Verwaltung des Deutschen Bundestages (2000 bis 2020). Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Politische Soziologie – insbesondere Verbände, Interessenvermittlung und Lobbying – sowie Gesundheitspolitik. Herr von Winter ist Dozent im Seminar „Lobbying von Zivilgesellschaft und Nonprofit-Organisationen“ an der Universität Münster.
Prof. Dr. von Winter, wie sind Sie zu dem Thema Interessenvertretung/Public Affairs gekommen?
Ich habe Politikwissenschaft und Soziologie studiert und daher schon früh ein Interesse an Themen entwickelt, die im Überschneidungsbereich der beiden Disziplinen liegen. Fragen der Politischen Soziologie haben dann auch im Mittelpunkt meiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit gestanden. Dabei habe ich mich zunächst auf Parteien und Wahlen konzentriert, später sind die Interessengruppen in den Vordergrund gerückt. Als Verbändeforscher bin ich dann zu Beginn der 2000er Jahre einmal eingeladen worden, einen Vortrag über die Entwicklung der Interessenvertretung in Deutschland vom Korporatismus zum Pluralismus bzw. zum Lobbyismus zu halten. Hintergrund dafür war, dass sich nach dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin in diesem Bereich einiges verändert hat und dass diese Veränderungen auch verstärkt von Journalisten und Wissenschaftlern zum Thema gemacht wurden. Dies hat mich motiviert, die Debatte über Lobbyismus weiter mitzuverfolgen und bei der Forschung zu Entwicklungen in der Interessengruppenlandschaft verstärkt ein Augenmerk auf Formen und Praktiken des Lobbyismus zu werfen.
Ihr Spezialgebiet und Hauptforschungsfeld ist die Interessenvertretung im Sozialbereich. Warum gerade dieses Themenfeld? Was ist hier besonders bzw. für sie in besonderem Maße relevant?
Neben der Politischen Soziologie hat mich immer auch die Sozialpolitik als Politikfeld interessiert. Bei der Auseinandersetzung mit Entwicklungen in der Sozialpolitik der Bundesrepublik ist mir aufgefallen, dass die Interessenvertretung in diesem Bereich besonders komplex ist. Die Palette der an Sozialpolitik interessierten gesellschaftlichen Gruppen reicht von den Betroffenen, den Sozialleistungsempfängern, die teilweise nur durch schwache eigene Organisationen repräsentiert sind, über die Berufsgruppen, die im sozialen Bereich tätig sind – wie Pflegekräfte, Ärzte oder Sozialarbeiter – und die etablierten Wohlfahrtsverbände bis hin zu Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Ich finde es bis heute spannend herauszufinden, welche Rolle diese verschiedenen Gruppen in den einzelnen Bereichen der Sozialpolitik spielen und wie sie bei Prozessen der Interessenvertretung und Interessenvermittlung aufeinander und auf die Politikinhalte einwirken. Besonders herausfordernd finde ich dabei die Frage, ob und in welchem Maße die sogenannten schwachen Interessen eine Chance haben, an der Willensbildung in der Sozialpolitik mitzuwirken und ob und in welchem Maße sich andere, stärkere Gruppen und Verbände für die Interessen der Schwachen engagieren.
Aktuell wird zu Interessenvertretung, Lobbying, Public Affairs sehr viel veröffentlicht, von Politikwissenschaftler:innen, aber auch von anderen Disziplinen (z.B. von der Kommunikationswissenschaft oder der BWL). Wie kommt es dazu?
Natürlich gibt es in der Wissenschaft wie in anderen Bereichen der Gesellschaft auch Trends. Von Mitte der siebziger bis Ende der neunziger Jahre war die Interessengruppenforschung geprägt vom sogenannten Korporatismus-Paradigma. Im Zentrum vieler wissenschaftlicher Untersuchungen stand die Frage, welchen Beitrag insbesondere die großen Verbände zur Steuerung politischer Prozesse leisten. Dass Verbände auch lobbyistische Akteure sind, hat in dieser Zeit wenig Beachtung gefunden. Seit nunmehr mehr als 20 Jahren weicht der Korporatismus aber mehr und mehr zurück, die Interessengruppenlandschaft wird vielfältiger und bunter, und außerdem hat sich die Politikberaterbranche zu einem neuen Geschäftsfeld im Dienstleistungsbereich entwickelt. Angesichts dieser zunehmenden Vielfalt liegt es nahe, wieder mehr nach Instrumenten, Taktiken und Strategien von Interessengruppen und auch nach ihrer Macht und ihrem Einfluss zu fragen. Es kommt hinzu, dass es in den USA und in Bezug auf die EU eine theoretisch und empirisch weit entwickelte Lobbyismusforschung gibt, die zunehmend auch die Debatten in der Interessengruppenforschung in Deutschland beeinflusst.
Interessenvertretung als Lobbying hat keinen so guten Ruf. Wie ist Ihre Haltung dazu? Gefährdet Lobbyismus die Demokratie?
Ein renommierter amerikanischer Politikwissenschaftler hat einmal geschrieben, dass vieles von dem, was Lobbygruppen tun, mit Lobbyismus im landläufigen Sinne, also mit Versuchen, Politiker zu beeinflussen oder unter Druck zu setzen, wenig zu tun hat. Das gilt auch für Deutschland. Um Politik mitgestalten zu können, müssen Interessengruppen erst einmal den politischen Prozess, vor allem die Vorgänge in Regierung und Parlament, aber auch Initiativen ihrer Konkurrenten beobachten, sich fachkundig in Spezialfragen machen und viel Papier produzieren bzw. viele E-Mails verfassen. Wenn sie dann an der politischen Willensbildung teilnehmen, die Interessen ihrer Klientelen nachhaltig vertreten und sozusagen nebenbei auch noch die Politik mit Sachwissen aus der Praxis versorgen, ist daran aus demokratietheoretischer Sicht wenig auszusetzen. Problematisch wäre dies nur in zwei Fällen: erstens wenn sich Interessengruppen beim Lobbying illegaler oder illegitimer Mittel bedienen und zweitens wenn bestimmte mächtige Interessengruppen über andere Gruppen regelmäßig in der Politik dominieren würden. Ob und inwieweit es zu solchen Fehlentwicklungen kommt, ist eine offene Frage, die von kritischen Forschern immer wieder gestellt werden muss. Bei systematischer empirischer Überprüfung stellt sich allerdings nicht selten heraus, dass Lobbygruppen, die in der Öffentlichkeit als sehr einflussreich gelten, bei konkreten Entscheidungsprozessen weniger erfolgreich sind, als man dachte bzw. dass sie durchaus auch einmal empfindliche Niederlagen einstecken müssen. Das wäre dann ein für die Demokratie erfreulicher Befund.
Sie verantworten als Dozent im Studiengang in Kooperation das Schwerpunktseminar Public Affairs: Wie sind hier Ihre Erfahrungen?
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bringen in die Lehrveranstaltungen interessante Erfahrungen aus ihren jeweiligen Berufsfeldern ein, die die Diskussionen über Chancen, Lobbyismus zu betreiben, sehr lebendig machen. Die Studierenden lernen dabei, dass es als Vertreterin einer Organisation nicht ausreicht, von der eigenen Sache überzeugt zu sein oder für einen guten Zweck einzutreten, sondern dass man die Logik politischer Prozesse verstehen muss, bevor man sie beeinflussen kann. Ich lerne umgekehrt etwas darüber, welche spezifischen Probleme der Interessenvertretung in der Praxis auftreten können.
Die Fragen stellte Prof.’in Annette Zimmer.
Weiterbildungsseminar Lobbying von Zivilgesellschaft und Nonprofit-Organisationen
Der Kontakt zu Öffentlichkeit, Politik und Medien ist das A & O für den Erfolg gemeinnütziger Organisationen. Ob Interessenvertretung, Methoden und Instrumente des Lobbying sowie dessen ethische Implikation: erarbeiten Sie praxisnah Strategien für die Außenwirkung Ihrer Organisation. Das Seminar ist konzipiert als Mischung von theoretischer Fundierung und Public Affairs Management und Lobbying und praxisbezogenes Lernen anhand von Fallstudien, Austausch mit Experten und Beispielen aus dem Alltag.
Freie Plätze
18
Termine und Fristen
Nächster Termin: Herbst 2025 & Frühjahr 2026 (2+3 Unterrichtstage)


Nonprofit-Organisationen stellen sich vor
Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS)
von Stephanie Alberding (Alumna Nonprofit-Management & Governance seit 2017)
Das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) ist ein unabhängiges, internationales, öffentlich finanziertes Forschungsinstitut. Es konzentriert sich auf die gesellschaftsrelevante sozialwissenschaftliche Forschung zu Osteuropa und die Vermittlung der Ergebnisse an Politik, Medien und die breite Öffentlichkeit.
Das ZOiS wurde auf Beschluss des Bundestags 2016 gegründet und wird aus dem Bundeshaushalt über das Auswärtige Amt finanziert. Das Institut selbst ist eine gemeinnützige GmbH, deren Gesellschafterin eine Stiftung gleichen Namens ist. Neben dem Stiftungsrat zählt ein Wissenschaftlicher Beirat zu den Gremien.
Russlands Krieg gegen die Ukraine stellt eine Zäsur dar, die nicht nur politische Akteure weltweit, sondern auch die Forschung mit großen Herausforderungen konfrontiert. Datenerhebungen sind teilweise erschwert oder unmöglich geworden, Kooperationen wurden abgebrochen, angepasst oder neu aufgestellt. Die Dimensionen der Folgen des Krieges sind bisher nur in Ansätzen zu erahnen. Nur eine qualitativ hochwertige und in der Bandbreite akademischer Disziplinen verankerte Regionalforschung wird sich den damit verbundenen Herausforderungen stellen und für die Wissenschaft, die Politik und den öffentlichen Diskurs wichtige Impulse liefern können. Hierzu leisten meine wissenschaftlichen Kolleg*innen jeden Tag einen wichtigen Beitrag. Die Wissenschaftskommunikation ist neben der Forschung die wichtigste Säule unserer Arbeit und ebenfalls auf fundamentale Weise vom Krieg betroffen.
Seit Februar 2017 (kurz nach Abgabe meiner NPM-Masterarbeit im Schwerpunkt Stiftungsmanagement) bin ich Teil der Kommunikationsabteilung, in der wir eigene Publikationen, Podcasts und Veranstaltungen konzipieren und umsetzen sowie zusätzliche Projekte (wie beispielsweise das Ukraine-Videoglossar in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung) betreuen. Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit liegt auf dem Bereich Social Media. Darüber hinaus unterstütze ich den Wissenschaftlichen Beirat und habe unsere erste externe Institutsevaluierung im vergangenen Jahr koordiniert.
Insbesondere bei meiner Arbeit mit den Gremien profitiere ich sehr von meinem NPM-Studium. So haben mir die rechtlichen Grundlagen und die Governance-Inhalte im Studium sehr geholfen, die Struktur unseres Instituts mit ihren Konsequenzen und Grundlagen-Dokumenten zu erfassen. Die Rolle von Gremien und ihr Bezug untereinander und zum Institut ist dabei besonders wichtig für meine Arbeit. Doch auch in meinen anderen Verantwortungsbereichen stoße ich immer wieder auf Themen und Problematiken mit Bezug zu Gemeinnützigkeit, zum Beispiel die Besonderheiten von Nonprofit-Organisationen hinsichtlich des Marketings. Einige meiner wissenschaftlichen Kolleg:innen forschen auch zu Zivilgesellschaft und Aktivismus. Insofern gibt auch in den zu kommunizierenden Inhalten immer wieder Bezüge zu meinem NPM-Studium.
Nonprofit-Management and Governance M.A.
Ihre Organisation zukunftsfähig aufstellen und verändern? Der berufsbegleitende Masterstudiengang NPM bietet das passende Wissen und die passenden Tools. Im Studium erwarten Sie spannende Themen wir Personalmanagement, Fundraising, Lobbying, politische Kommunikation, Marketing & Nonprofit-Recht. Studieren Sie berufsbegleitend in 6 Semestern.
Zielgruppe
Mitarbeiter:innen in NPOs, Vorstände, Geschäftsführer:innen sowie weitere ehrenamtlich Engagierte
Fakten
7 Module4-6 Semesterberufsbegleitend
